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Anschlag auf Detlev Karsten Rohwedder

Erklärung vom 4. April 1991

Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten. Freiheit ist nur möglich im Kampf um Befreiung.

Wir haben am 1.4.199 1 mit dem Kommando Ulrich Wessel den Chef der Berliner Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder erschossen. Rohwedder saß seit 20 Jahren in Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft.
Als Bonner Wirtschaftsstaatssekretär organisierte er in den 70er Jahren die Rahmenbedingungen, die das BRD-Kapital für seine Profite in aller Welt braucht. Er war damals z. B. maßgeblich beteiligt am Deal mit dem faschistischen südafrikanischen Regime: Know-how für den Bau von Atombomben für Südafrika gegen Uran für die BRD-Atom-Industrie. In der Phase der Durchsetzung des Atomprogramms war er im Aufsichtsrat staatlicher Energiekonzerne und in internationalen Gremien.
Aber auch für die glatte Abwicklung unzähliger, oft verdeckten Waffenexporte an faschistische Regime im Trikont suchte und fand er immer Wege.
Rohwedder war schon damals einer dieser Schreibtischtäter, die tagtäglich über Leichen gehen und die im Interesse von Macht und Profit Elend und Not von Millionen Menschen planen.
In den 80er Jahren machte sich Rohwedder als Chef des Hoesch-Konzerns einen Namen als brutaler Sanierer. Er hat bei Hoesch in wenigen Jahren mehr als 2/3 aller ArbeiterInnen rausgeschmissen und den bankrotten Konzern zu neuen Profitraten geführt. Dafür wurde er 1983 zum Manager des Jahres gekürt.
Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine Funktion als Bonner Statthalter in Ostberlin sein. Seit ihrer Annexion ist die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundesrepublik: Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entscheidungszentren liegen in Bonn bzw. bei bundesdeutschen Konzernen.
Dieser Kolonialstatus ist als vorübergehend geplant, denn die Bundesrepublik braucht für ihre Großmachtspläne die Ex-DDR als funktionierenden kapitalistischen Teil - schließlich ist das Hauptstandbein, auf dem die politische Macht hier basiert, die wirtschaftliche Potenz. Vorher soll die Wirtschaft der Ex-DDR genauso wie die sozialen Strukturen dort (vom Gesundheitssektor bis zu den Kinderkrippen) systematisch kaputtgemacht werden, damit danach das Kapital auf freiem Feld und mit entwurzelten Mensehen den Neuaufbau nach seinen Maßstäben organisieren kann.
Das ist der Plan, und die Treuhandanstalt soll diesen Zusammenbruch organisieren.
Es geht den multinationalen Konzernen im Moment aber nicht um den großen wirtschaftlichen Aufbau der Ex-DDR. Die wenigen ausgesuchten Teilbetriebe, die sie bisher übernommen haben, sollen vor allem Monopolstellungen für bestimmte Branchen sichern. Ansonsten wird die Infrastruktur ausgebaut. Die Multis haben sich vom Telefonnetz bis zur Energieversorgung längst alles aufgeteilt und gewartet, bis die Treuhand alles niedergemacht hat, um dann aufzubauen, was am Weltmarkt Profit abwirft.
Für die Durchsetzung dieses Planes hat die Bundesregierung Rohwedder ausgesucht, und er war dafür mit seiner Brutalität und Arroganz auch der Richtige. Für ihn gab es von Anfang nichts in der Ex-DDR, was nach seinem auf Profit ausgerichteten Blick irgendwelche Werte hatte. Alles dort war für ihn immer nur Konkursmasse.
"40 Jahre Sozialismus auf dem Gebiet der Ex-DDR haben mehr Schaden angerichtet als der Zweite Weltkrieg", sagte er vor Unternehmern in Wien. So redet einer, der die Welt in Produktivitätssteigerung und Profitraten sieht und für den Menschenleben nichts zählen.
Die Arbeit der Treuhand bedeutet für die Menschen mehr als den Verlust des Arbeitsplatzes, die Schließung der Betriebe und die Ausrichtung auf Profit von allem, was an Neuem hochgezogen werden soll. In diesem Prozeß soll Land und Leuten die Struktur aufgezwungen werden, die das internationale Kapital für seine Herrschaft braucht. Es geht um die Ausrichtung aller Werte auf seine Prinzipien, die neben dem materiellen Elend von Millionen Arbeitslosen auch die Armut in den Köpfen und Herzen der Menschen bedeutet.
Kapitalstrategen, wie Rohwedder einer war, geht es darum, auch die Bedingungen für den Angriff auf die Seele des Menschen und ihre tiefe Deformierung, die sie voneinander isoliert und scheinbar unüberwindliche Mauern zwischen ihnen aufbaut, zu schaffen. Denn für ihn waren die Menschen in der Ex-DDR welche, denen die normalen Dimensionen des Denkens verlorengegangen sind, und deshalb geht es für Kopper, Herrhausens Nachfolger bei der Deutschen Bank, jetzt darum, bei diesen Menschen den Anpassungsprozeß im Kopf durchzusetzen.
Das System der "freien Marktwirtschaft" gaukelt allen eine vermeintliche Chance vor, sich im Wohlstandsland Großdeutschland einen sicheren Platz ergattern zu können und im Kaufrausch glücklich zu werden - in Wirklichkeit sollen die Menschen im Geiern nach Konsum dumm und stumpf gemacht werden. Wenn überhaupt, gibt es diesen sicheren Platz nur für diejenigen, die bedingungslos bereit sind, im harten Konkurrenzkampf sich besser zu verkaufen als andere und die diesen Wohlstand hier auch wollen, obwohl jede/r weiß oder wissen kann, daß er nur möglich ist, weil Millionen Menschen im Trikont dafür ihren Schweiß und ihr Blut lassen. Was zählen soll, sind Ellbogen, Egoismus, Leistung und Konsum usw. - nicht aber der Mensch, das Leben, die Natur.
Der Schriftsteller R. Schernikau drückt die Einsamkeit und Leere des Lebens von Millionen Menschen in den reichen kapitalistischen Ländern treffend aus: "Ich weiß nicht, was Verelendung sonst sein soll. Eine Maus in einem Rad, die läuft und hat Jeans an und Kopfhörer."
Wer sich den kapitalistischen Werten unterordnet, muß ein Leben in Vereinzelung akzeptieren. Vereinzelung ist die Bedingung für Manipulation und ist zentraler Pfeiler imperialistischer Herrschaftssicherung, denn Menschen, die isoliert und ohne wirkliche Kommunikation sind, sind weit davon entfernt, sich eine andere Wirklichkeit zusammen mit anderen auch nur vorstellen zu können und deshalb das System in Frage zu stellen.
Die Entwicklung, in der die gesamte Produktion nach den Erfordernissen und nach der Konkurrenz des Weltmarktes umgestellt wird, läuft in der ehemaligen DDR jetzt noch krasser, als wir es aus der BRD kennen. In der High-Tech-Produktion arbeiten immer weniger Menschen. Quer durch Westeuropa und andere kapitalistische Länder war die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, daß im Konkurrenzkampf: Mensch-Maschine immer die Menschen verlieren und Millionen für immer arbeitslos werden. Das sind die Hintergründe für die 2/3-Gesellschaft in der BRD, wonach für den Kapitalismus mindestens 1/3 der Menschen weitgehend überflüssig geworden sind. Diese Masse von Menschen, die ganz aus dem Produktionsprozeß rausgekippt worden sind bzw. die die sogenannten unqualifizierten Arbeiten machen, sollen relativ ruhiggestellt und hoffnungslos das Elend und die Ungerechtigkeit und die kapitalistischen Werte als naturgegeben hinnehmen.
Das System braucht vor allem diejenigen, die sich voll und ganz für seine Werte entschieden haben und die in privilegierten Stellungen der High-Tech-Produktion oder der Dienstleistungen eingesetzt werden. Das sind diese Maden im Speck, die wir Yuppies nennen und deren Lebensinhalt sich weitgehend auf "born to shop" reduziert. Nach ihren Bedürfnissen läuft die Umstrukturierung der Städte mit all den Schicki-Micki-Läden, Yuppie-Kneipen und unbezahlbaren, luxussanierten Wohnungen - diese korrumpierte Yuppieschicht und die Bonzen sind die einzigen, die von dieser aufgestylten Scheiße, die überall entsteht und entstehen soll, profitieren.
Für die Masse der Erniedrigten und Beleidigten bedeutet diese Entwicklung die Zerstörung ihrer Lebenszusammenhänge. Sie sollen abgeschoben werden in BetonGhettos, die nach dem Prinzip gebaut worden sind, die Menschen zu isolieren.
Hier läuft die Zerstörung von kommunikativen Lebenszusammenhängen schon lange und kommt jetzt zur Isolierung und Vereinzelung auch auf die Menschen der Ex-DDR verschärft zu.
Seit Auflösung der DDR ist der Rassismus gegen Flüchtlinge und die schon hier lebenden Ausländer und gleichzeitig die Frauenfeindlichkeit ganz offen ausgebrochen. Faschistische Gruppen sind stärker geworden, und fast jeden Tag laufen brutale Angriffe gegen Ausländerwohnheime, Linke und Frauen aus Frauenzusammenhängen.
Das hat sicher auch seinen Grund darin, daß in der Zeit des SED-Staates Solidarität und Gleichberechtigung von Frauen staatlich verordnet war. Als etwas von außen Aufgedrücktes hatten viele unter der Oberfläche tatsächlich nichts davon gewollt und gelernt. Es war so vorgeschrieben und nichts Tiefes. Es ging nicht von vielen Menschen aus.
Auf der anderen Seite ist Rassismus und Frauenunterdrückung im kapitalistischen System nicht wegzudenken. Es war und ist die staatliche Politik, das Propaganda-Getrommel vom "Deutschland, einig Vaterland", die Nationalismus wieder salonfähig gemacht hat und gerade in der Ex-DDR dieses bekotzt chauvinistische Getrommel von: "Jetzt sind wir wieder wer/endlich richtige Deutsche" gepusht hat. Es ist die staatliche Politik, die mit ihren menschenfeindlichen Asyl- und Ausländergesetzen den Rassisten und Faschisten den Rücken stärkt. Die Grenzen der reichen Metropole Westeuropa sollen für alle, die aus dem Trikont und den verarmten Ländern Osteuropas hierher kommen wollen, dichtgemacht werden.
Bei den Schließungen der Ex-DDR-Betriebe fliegen als erstes die Frauen raus. Die Kinderkrippen werden dichtgemacht, und es soll den Frauen die Entscheidung darüber, ob und wie viele Kinder sie haben wollen, genommen werden, so wie wir es aus der BRD schon lange kennen Paragraph 218.
Rassismus und Frauenunterdrückung sind für den imperialistischen großdeutschen Staat notwendig, weil er sich davon erhoffen kann, daß sich Unzufriedenheit und Enttäuschung der Menschen nicht gegen das System entlädt, sondern jeweils gegen die, die in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter unten stehen. Aber faschistische Organisationen haben für kapitalistische Staaten immer auch den materiellen Zweck, daß sie für Terrorakte wie Bologna und auch für gezielte Angriffe gegen linke und fortschrittliche Menschen, wie z.B. die Räumung besetzter Häuser in Frankfurt/Oder, eingesetzt werden.
Wir begreifen unsere Aktion gegen einen der Architekten Groß-Deutschlands auch als Aktion, die diese reaktionäre Entwicklung an einer Wurzel trifft. Es ist klar und gerade an der deutschen Geschichte bis zum 3. Reich deutlich, daß Verarmung, Verelendung und Massenarbeitslosigkeit nicht von allein zu einer Mobilisierung für menschliche Ziele und gegen die Herrschenden führt. Die Unzufriedenheit und Enttäuschung von fortschrittlich denkenden Menschen soll vor allem von den Gewerkschaften gezielt kanalisiert werden. Ihre Hauptaufgabe ist es, zu verhindern, daß Arbeitskämpfe zu politischen Kämpfen werden, die das System als Verursacher der elenden Lage in Frage stellen. Mit diesem Ziel versuchen sich Gewerkschaftsbonzen aktuell an die Spitze der Protestbewegung in der Ex-DDR zu stellen - daß sie gleich nach unserem Angriff auf Rohwedder überlegt haben, ob sie die Montagsdemonstrationen stoppen sollen, paßt genau in diese Linie.
Sie nennen unsere Aktion "politisch katastrophal", weil sie Angst davor haben, daß wir auch von Menschen in der Ex-DDR verstanden werden. Waigel kommt dann gleich mit der Drohung hinterher, daß, wenn die Streiks und Demonstrationen dort weitergehen, das ein Investitionshindernis für die Konzerne ist. Aber damit viele Menschen dort überhaupt nicht erst anfangen, sich mit der Aktion, unserer Politik und Vorstellung überhaupt auseinanderzusetzen, spuckt der Gehirnwäsche-Apparat vom ersten Moment an diesen Quatsch aus, wir würden an der langen Leine des Stasi laufen.
Wir haben es schon in der Erklärung gegen Neusel gesagt: Wir alle, die für ein menschliches Leben in Würde und frei von Herrschaft kämpfen, müssen es anpacken, zur gemeinsamen Kraft zu werden.
Gerade heute, wo der Imperialismus Schlag auf Schlag landet, um seine neue Weltordnung den Völkern hier wie im Trikont aufzuzwingen (der Krieg am Golf die Entwicklung zu Großdeutschland; die harte Haltung gegen die Kämpfe unserer gefangenen GenossInnen; die Versuche des Staates, jeden selbstbestimmten Raum von Menschen zu zerstören bzw. von vornherein zu verhindern), muß eine revolutionäre Bewegung in der Lage sein, überall präsent zu sein.
Wir können uns den Prozeß der Umwälzung der gesamten Verhältnisse nur vorstellen als einen Prozeß, in dem wir in der Durchsetzung konkreter Forderungen und Ziele Gegenmacht aufbauen, eine Gegenmacht, die zusammen mit den Kämpfen der Völker im Trikont die notwendigen Veränderungen gegen das imperialistische System durchsetzen kann und in einem langandauernden Kampf die Befreiung der Menschheit erkämpft.
Die revolutionäre Bewegung muß zum realen und spürbaren Faktor werden. Real und spürbar darin, daß wir zusammen dahin kommen müssen, zentrale Entwicklungen zu blockieren und wirkliche Veränderungen für die Menschen zu schaffen. Für uns heißt das, daß wir in Zukunft auch auf Angriffe des Staates, die darauf zielen, die gesamte Entwicklung revolutionärer Gegenmacht zurückzudrehen, wie das z.B. die brutale Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Ostberlin war, antworten wollen.
Überhaupt geht es uns darum, neben den strategischen Angriffen wie jetzt dem gegen Rohwedder, auch in der Lage zu sein, mit konkreten Forderungen an aktuelle Auseinandersetzungen zu intervenieren wie beispielsweise mit der Aktion gegen die US-Botschaft.
Wir wollen uns zusammen mit anderen dafür organisieren, Kampfphasen zu bestimmen und die gemeinsamen Ziele durchzusetzen. Das können wir uns mit allen vorstellen, die die Wirklichkeit im Kapitalismus als erdrückend empfinden und erfahren und die anfangen, sich dagegen für ihre eigenen Vorstellungen zu organisieren und danach zu handeln.
Die revolutionäre Bewegung muß eine reale und greifbare menschliche Perspektive entwickeln und dadurch zur Anziehung für alle, die dieses System als Unterdrückung erfahren, werden.
Es muß die Keimform einer neuen Gesellschaft entstehen, in der die Menschen anfangen, ohne Herrschaft und selbstbestimmt zusammenzuleben. Selbstbestimmt heißt für uns z.B. auch, nicht immer bloß zu wiederholen, daß es jede Menge Fragen darüber gibt, wie der revolutionäre Prozeß weitergehen muß; Selbstbestimmung heißt auch, anzufangen, Antworten zu suchen. Die ganze Verantwortung dafür, wie der Umwälzungsprozeß weiterentwickelt wird, liegt bei jeder/m, und jede/r muß diese Verantwortung auch wollen.
Wer sich dafür entscheidet, kann die aufgedrückten Ohnmachtsgefühle überwinden und sich die wirklichen Probleme vorknöpfen, um Schritt für Schritt Lösungen zu suchen und zu finden. Das schließt ein, bei erfahrenen Niederlagen nicht am Boden liegen zu bleiben, sondern wieder aufzustehen und nach neuen Wegen zu suchen; nur dadurch kann Kontinuität und Identifizierbarkeit einer revolutionären Bewegung entstehen.
Die Niederlage vom Hungerstreik '89 der politischen Gefangenen, als trotz größter Mobilisierung, die es hier jemals zu einem Streik gegeben hat, der Staat an der harten Haltung festhielt und die GenossInnen mit ihren Forderungen nicht durchkamen, wirkt bis heute nach. Die wirkliche Niederlage für die Linke ist nicht, daß die Mobilisierung für die Durchsetzung der Forderungen zu schwach war, sondern das die meisten das Ziel danach losgelassen haben und deshalb aus dieser Erfahrung auch nur Ohnmacht ziehen können.
Für jede revolutionäre Bewegung auf der Welt ist es eine Frage der eigenen Identität, Wege zur Freiheit der politischen Gefangenen zu suchen. Eine revolutionäre Bewegung, der die Gefangenen nicht am Herzen liegen, kann es nicht geben.
Der Weg zur Freiheit der politischen Gefangenen führt über die Durchsetzung ihrer Zusammenhänge.

Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie
Unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht
Die Bedingungen für menschenwürdiges und selbstbestimmten Leben im Kampf gegen die reaktionären großdeutschen und westeuropäischen Pläne zur Unterwerfung und Ausbeutung der Menschen hier und im Trikont durchsetzen.
Kommando Ulrich Wessel