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Verfassungsschutzbericht 1997

3.3.2.1 RAF-Kommandoebene

5 Jahre Inaktivität

Anschläge der RAF fanden im Jahr 1997 nicht statt und sind auch in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Der letzte Mordanschlag der RAF am 1. April 1991 auf Treuhandchef Rohwedder liegt sieben Jahre zurück. Etwa ein Jahr später, im April 1992, erfolgte die sogenannte Deeskalationserklärung, in der die RAF die Aussetzung weiterer Mordanschläge ankündigte und eine Neuorientierung der Basis, den Aufbau einer "gegenmacht von unten" forderte. Seitdem fand noch ein einziger Anschlag der RAF statt, die Sprengung des bezugsfertigen Neubaus der JVA Weiterstadt am 27. März 1993. Es entstand hoher Sach- jedoch kein Personenschaden. Die RAF stellte im Anschluß an die Sprengung fest, daß sie "von vielen als sinnvoll" erachtet worden sei, "was heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr ist". Daraus läßt sich schließen, daß die RAF unter den derzeitigen politischen Bedingungen zumindest Mordanschläge für nicht vermittelbar hält. Anschläge auf Objekte nach dem Vorbild des Sprengstoffanschlages in Weiterstadt sind im nunmehr fünften Jahr der Inaktivität der RAF ebenfalls unwahrscheinlich.

Aufgabe des RAF-Konzepts bei Fortbestehen des illegalen Personenzusammenhangs

Zweifelhaft ist, ob die RAF sich unter ihrer bisherigen Gruppenbezeichnung nochmals zu Wort melden wird (Anmerkung der Redaktion: Am 20. März 1998 ging ein Schreiben der RAF bei der Nachrichtenagentur Reuters ein, mit dem sie ihre Auflösung erklärt hat. Die RAF-Erklärung und eine entsprechende Bewertung des NRW-Verfassungsschutzes stehen im Internet zur Verfügung). Die Gruppenbezeichnung RAF steht für ein Handlungskonzept, das die verbliebene RAF-Kommandoebene in ihrer vorerst letzten öffentlichen Erklärung vom 9. Dezember 1996 selbst als überholt bezeichnet hat:

"Das RAF-Konzept ist überholt. Das ist objektiv so. Dabei bleibt es also auch. Alles andere würde völlig an der politischen Situation insgesamt - und unserer speziellen erst recht - vorbeigehen. Es kann auch keine modifizierte Neuauflage des Alten geben."

Dies ändert allerdings nichts daran, daß die in die Illegalität abgetauchten Angehörigen der RAF nach wie vor einen handlungsfähigen Personenzusammenhang darstellen. Dies belegt die - z. T. öffentlich stattfindende - Kommunikation zwischen der verbliebenen RAF- Kommandoebene und Inhaftierten bzw. ins Ausland Abgetauchten. Die RAF selbst bekräftigte in ihrer Erklärung vom 9. Dezember 1996, daß "wir uns nicht in Luft auflösen können und werden". Folgerichtig wandte sich die im Zusammenhang mit dem Anschlag in Weiterstadt mit Haftbefehl gesuchte Andrea Wolf im Sommer 1997 mit einem offenen "Brief an die raf", um Behauptungen der RAF über ihre Kontakte zu Steinmetz zu dementieren (Interim Nr. 429 vom 7. August 1997). Ebenso erklärte die inhaftierte ehemalige RAF-Angehörige Birgit Hogefeld in einem Interview im Oktober 1997 (Der Spiegel Nr. 42 vom 13. Oktober 1997) auf die Frage, ob es die RAF überhaupt noch gebe: "Natürlich gibt es die noch. Das sind ja konkrete Leute... das lange Schweigen interpretiere ich als intensiven Nachdenkprozeß über das 'Wie weiter'".

Der im Untergrund weiter existierende Personenzusammenhang der Kommandoebene der RAF und Illegaler des ehemaligen Umfelds dürfte allerdings zwischenzeitlich ausgedünnt sein. So stellten sich im Juli 1997 zwei mit Haftbefehl gesuchte mutmaßliche Unterstützer der RAF nach acht Jahren im Untergrund den Justizbehörden.

Warten auf Neuorientierung

Die Inaktivität der RAF ist in erster Linie eine Folge der derzeitigen Handlungsunwilligkeit der verbliebenen, in die Illegalität abgetauchten RAF-Kommandoebene. Den letzten öffentlichen Erklärungen der Kommandoebene vom November und Dezember 1996 ist zu entnehmen, daß die RAF künftige Aktionen nur im Zusammenhang mit einer Neuorientierung im linksextremistischen Spektrum für sinnvoll hält. Dabei ließ die RAF keinen Zweifel daran, daß Ziel der Neuorientierung die "Umwälzung der Verhältnisse" mit Hilfe einer neu zu formierenden radikalen Linken bleibt, die den revolutionären Kampf wieder aufnehmen soll:

"Die Entscheidung von Einzelnen führt weder dazu, daß der revolutionäre Kampf gleich ganz abgeblasen wird, noch dazu, daß in der zukünftigen Linken nicht wieder illegale Kampfstrukturen gebraucht werden." (RAF-Erklärung vom 29. November 1996)

Ihre eigene Rolle bei dieser Neuorientierung sieht die verbliebene RAF-Kommandoebene offenbar in erster Linie in der Aufrechterhaltung ihrer Logistik und der Vermittlung von Erfahrungen und Verbindungen an künftig neu zu formierende Kampfstrukturen:

"... Zerfallsprozesse hin oder her: Keine Aussagen über bestehende illegale (oder legale) Strukturen! Keine Aussagen über geheime Exil-Orte und Strukturen! Es wird immer wieder Genossinnen geben, die davon Gebrauch machen und darauf angewiesen sind, daß die Bullen nicht alles darüber wissen, wie linke Strukturen so etwas organisieren könnten." (RAF-Erklärung vom 29. November 1996)

Besondere Bedeutung gewinnt diese Aussage in Anbetracht des beachtlichen logistischen Potentials, das die RAF für den Sprengstoffanschlag in Weiterstadt 1993 eingesetzt haben muß. Nach eigenen Angaben verwendete die RAF damals "gut 1 t Sprengstoff", die sie unbemerkt beschaffte und transportierte. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, daß die Illegalen der RAF auch heute noch über Waffen und Sprengstoff sowie logistische Möglichkeiten für die Durchführung von Anschlägen verfügen.

Schweigen zur Geschichte der RAF

Nicht eingelöst hat die RAF-Kommandoebene bis heute ihr Versprechen, ein Resümee aus ihrer Geschichte zu ziehen und damit zu dem von ihr geforderten Neuorientierungsprozeß politisch beizutragen. In ihrer Erklärung vom 9. Dezember 1996 kündigte sie zwar an, sie wolle "dazu beitragen, ein kollektives Bewußtsein über unsere Geschichte zu ermöglichen - mit dem Sinn, daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die uns allen etwas für eine bessere, freiere, starke und emanzipative Politik für die Umwälzung der Verhältnisse in die Hand gibt". Seitdem herrscht von Seiten der RAF jedoch Schweigen.

Dies ist umso bemerkenswerter, als das Jahr 1997 aufgrund des öffentlichen Interesses für den 20. Jahrestag des sogenannten Deutschen Herbstes Anlaß zu einer entsprechenden Erklärung der RAF geboten hätte.

20 Jahre Deutscher Herbst

Das Thema "20 Jahre Deutscher Herbst" wurde im Laufe des Jahres 1997 sowohl in einer breiten Medienöffentlichkeit als auch in Veranstaltungen der linksextremistischen Szene aufgegriffen. Die Szeneveranstaltungen lebten häufig von dem Auftreten ehemaliger RAF- Inhaftierter, die auf diese Weise ihre Memoiren vermarkteten. So fanden insbesondere im Oktober und November 1997 in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens Vortrags- und Informationsveranstaltungen und Buchlesungen mit ehemaligen Mitgliedern der RAF und der "Bewegung 2. Juni" statt.

Zum Teil glitt die Auseinandersetzung mit dem Thema "Deutscher Herbst" in Szeneveranstaltungen auf ein primitives Niveau ab. So wurden auf einer "Terrorparty" im "Autonomen Zentrum" in Aachen am 3. Oktober 1997 Imitationen aus der RAF-Zeit mit aggressiv-polemischem Inhalt ausgestellt, darunter, in Anspielung auf ein Mord-Opfer der RAF, Schweinegehacktes. Die Aachener Szeneschrift "streng gemein" (Ausgabe vom 6. November 1997) nahm auf der Titelseite mit dem Hinweis "Herbstzeit" und einer Abbildung sowie im Text auf die "Terrorparty" Bezug.

Im Laufe des Jahres äußerten sich viele "Ehemalige" in Interviews oder auf Veranstaltungen zu ihrer Vergangenheit. Eine einheitliche Auffassung zur Geschichte der RAF war dabei nicht zu erkennen.

Keine Distanz zur Vergangenheit

Nur vereinzelt distanzierten sich ehemalige RAF-Mitglieder wie Klaus Jünschke oder Birgit Hogefeld von der früheren Politik des bewaffneten Kampfes.

Überwiegend rechtfertigten die Ehemaligen ihr damaliges Handeln. So referierten die einstigen Mitglieder der RAF bzw. der "Bewegung 2. Juni" Roland Mayer, Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts und Gabriele Rollnik auf einer Veranstaltung im Mai 1997 in Zürich unter dem Motto "Der Aufruf war berechtigt". Rollnik bezeichnete dabei den bewaffneten Kampf "als Mittel, das benutzt werden mußte, in dieser geschichtlichen Phase". Die ehemalige RAF-Inhaftierte Irmgard Möller erklärte in einem Interview (Der Spiegel" Nr. 17/97 vom 21. April 97): "Es war für mich der richtige Weg, trotz der ganzen Knastjahre ... Es gibt nichts zu bereuen."

Rechtfertigung der Mordanschläge

Die Frage nach den Opfern der Terroranschläge sparten die Ehemaligen aus. In den Veranstaltungen der linksextremistischen Szene gelang dies schon deswegen, weil die Zuhörer in erster Linie an einer abstrakten Gewaltdiskussion und an Wegweisungen für die Zukunft interessiert waren (siehe Nr. 3.2.5). Nach den Ermordeten und ihren Angehörigen fragte in der Regel niemand. Soweit die Opferthematik von Ehemaligen angesprochen wurde, die den bewaffneten Kampf als zulässiges Mittel betrachten, schlossen sie die Ermordung der Opfer ausdrücklich in ihre Rechtfertigung mit ein. Irmgard Möller argumentierte zur Ermordung des 1977 von der RAF entführten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer: "... wenn man nicht bereit ist, jemanden wie Schleyer zu töten, darf man ihn gar nicht erst entführen." Die Anfang 1997 aus der Haft entlassene ehemalige Angehörige der RAF und "Bewegung 2. Juni", Inge Viett, erklärte zu ihrer Erschießung eines sie verfolgenden französischen Polizisten in ihrem Buch "Nie war ich furchtloser": "Ich habe all die Jahre nicht das geringste Bedauern für den niedergeschossenen Polizisten empfinden können."

Umfeld kritisiert Aussteiger-Memoiren

Die Aussagen und das Verhalten der Ehemaligen sind im linksextremistischen Spektrum umstritten. Kritisiert wurde zum einen die fehlende Zukunftsperspektive (siehe Nr. 3.2.5) und zum anderen, daß die Ehemaligen mit ihren "Aussteiger-Memoiren" aus eigennützigen Motiven Geschichtsverfälschung betrieben. So kam es zu einer öffentlichen Kontroverse um das Buch "Nie war ich furchtloser" von Inge Viett. Ein ehemaliges Mitglied der "Bewegung 2. Juni" bezeichnete es als "Gehabe, mit dem die alte Stadtguerilla endgültig abgewickelt werden soll", und warf allen MemoirenschreiberInnen vor, die "ehemals kollektiv gemachte antikapitalistische Geschichte zu gewinnbringenden Buchveröffentlichungen, Talk-Show-Auftritten und Lesungen" vorzugsweise vor bürgerlichem Publikum zu vermarkten.

3.3.2.2 RAF-Häftlinge

Verbliebene Inhaftierte

Zur Zeit haben noch 10 verurteilte RAF-Terroristen Haftstrafen zu verbüßen. Es handelt sich um Eva Haule, Rolf Heißler, Sieglinde Hofmann, Birgit Hogefeld (zum Teil noch nicht rechtskräftig), Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Helmut Pohl, Adelheid Schulz, Rolf Klemens Wagner und Stefan Wisniewski.

Pohls Haft wurde aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen. Für Klar und Hofmann wurden Anfang des Jahres 1998 Mindesthaftzeiten gerichtlich festgesetzt. Danach gilt für Sieglinde Hofmann eine Mindesthaftzeit von 19 Jahren; sie kann frühestens in eineinhalb Jahren entlassen werden. Für Christian Klar setzte das Gericht eine Mindesthaftzeit von 26 Jahren fest. Er bleibt mindestens bis zum Jahr 2008 in Haft.

Freilassungsinteresse im Vordergrund

Auch RAF-Inhaftierte nutzten das Medieninteresse an dem 20. Jahrestag des Deutschen Herbstes. So gab Christian Klar ein heimlich - über Kassiber - zustande gekommenes Interview (Magazin Nr.17 der Süddeutschen Zeitung vom 25. April 1997 und "Angehörigen Info" Ausgabe Nr. 194 vom 16. Mai 1997). Auf die Frage, was die RAF heute sei, antwortete er: "Ich weiß es nicht. Und was ich in der Zeitung lese, ist mir schon seit einigen Jahren fremd. Die RAF gehört in eine ganz bestimmte Zeit, in die siebziger und achtziger Jahre. Sie ist inzwischen Geschichte."

Äußerungen wie diese lassen erkennen, daß im Vordergrund des Interesses der Häftlinge ihre eigene Freilassung steht. Politische Aussagen mit Richtungsweisungen für die Zukunft unterblieben 1997 ebenso wie eine gemeinsame Erklärung der RAF-Inhaftierten.

Schwindende Solidarität

Solidaritätsaktionen des linksextremistischen Spektrums mit den RAF-Gefangenen, wie z.B. die traditionelle Silvester-Knastkundgebung in Köln-Ossendorf (siehe Nr. 3.3.1) oder eine Veranstaltung mit Angehörigen von Inhaftierten am 14. November 1997 in Köln, stießen nur bei einer begrenzten Anzahl von Szeneangehörigen auf Interesse.

Auch die Resonanz auf die Mobilisierungsbemühungen der Initiative Libertad zu einem bundesweiten Aktionstag zur Solidarität mit den politischen Gefangenen am 18. März 1997 fiel in Nordrhein-Westfalen gering aus. Die Initiative, in der u.a. Angehörige des ehemaligen RAF-Umfelds bzw. des antiimperialistischen Widerstands organisiert sind, wehrt sich dagegen, auf eine bloße Gefangenenhilfsorganisation zugunsten der RAF-Häftlinge reduziert zu werden. So führte sie am 20. Dezember 1997 in der Universität Frankfurt/Main eine Veranstaltung zum "internationalen Kampftag für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit" durch. Die Veranstaltung machte deutlich, daß in den Augen der Initiative ein Gefangenenkollektiv mit politischer Bedeutung nicht mehr existiert. Von den RAF-Gefangenen erwartet die Initiative keinen maßgebenden Beitrag mehr für ihr eigentliches Ziel, den langfristigen Aufbau einer radikalen internationalen Bewegung (siehe Nr. 3.2.5.2).
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