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Verfassungsschutzbericht 1998

3.3.2.1 RAF-Kommandoebene

Am 20. April 1998 ging bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln ein in Leipzig abgesandtes achtseitiges Schreiben der "Rote Armee Fraktion" (RAF) ein. Dieses auf März 1998 datierte Schreiben knüpft inhaltlich nahtlos an die vorangegangenen Erklärungen der RAF vom 29. November und 9. Dezember 1996 an. Sprache und Diktion sowie das Ergebnis einer kriminaltechnischen Untersuchung weisen auf Authentizität dieses Schreibens hin.

Die unbekannten Autoren beginnen ihre Erklärung mit den Worten: "Vor fast 28 Jahren am 14. Mai 1970 entstand in einer Befreiungaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte". (Anmerkung: Am 14. Mai 1970 wurde der vorübergehend im Institut für Soziale Fragen in Berlin aufhältige Andreas Baader gewaltsam aus diesem Institut befreit. Baader war zuvor am 4. April 1970 in Westberlin verhaftet worden, weil er eine längere Reststrafe u.a. wegen Kaufhausbrandstiftung abzusitzen hatte. In einem Brief an die Westberliner Untergrundzeitung "Agit 883" erklärte die RAF, sie wende sich mit dieser Aktion an die, "die es satt haben!". Man baue "die Rote Armee" auf, "um die Konflikte auf die Spitze zu treiben").

Weitere Erklärungen und Aktionen unter der Bezeichnung "RAF" schließen die unbekannten Verfasser mit den Worten aus: "Ab jetzt sind wir - wie alle anderen aus diesem Zusammenhang - ehemalige Militante der RAF". Sie signalisieren aber an anderer Stelle ihrer Erklärung, an der künftigen politischen Entwicklung teilnehmen zu wollen; sie plädieren für den Aufbau eines "Befreiungsprojekts der Zukunft".

Die Auflösung der RAF wird damit begründet, dass es ihr aufgrund taktischer und strategischer Fehler nicht gelungen sei, ihr Ziel, die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft, zu erreichen. Das Ziel werde aber beibehalten: "Das Ende dieses Projektes zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nichts gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte."

Die Auflösungserklärung enthält einen verspäteten Beitrag der RAF zur Diskussion über den "Deutschen Herbst". Die Entführung und Ermordung Schleyers werden nachträglich als Teil einer "Offensive " gegen die Bundesrepublik Deutschland als "Nazi-Nachfolgestaat" gerechtfertigt. In derselben Weise rechtfertigen die unbekannten Autoren alle anderen terroristischen Aktionen der RAF seit ihrer Gründung 1970 bis in die 90er Jahre und bilanzieren: "Trotz allem, was wir besser anders gemacht hätten, ist es grundsätzlich richtig gewesen, sich gegen die Verhältnisse in der BRD zu stellen und zu versuchen, die Kontinuität der deutschen Geschichte mit Widerstand zu durchkreuzen. Wir wollten dem revolutionären Kampf auch in der Metropole eine Chance eröffnen."

Als grundlegenden "strategischen Fehler" bezeichnet man das Versäumnis, "neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation" aufgebaut zu haben. In keiner Phase ihrer Geschichte sei eine "über den politisch-militärischen Kampf hinausgehende politische Orientierung erreicht worden". Die Autoren sind überzeugt davon, dass das "Befreiungsprojekt der Zukunft" auf den bewaffneten Kampf nicht verzichten kann.

Sie benennen aktuelle Entwicklungen, die sie als "Voranschreiten der Barbarei" diagnostizierten und aus denen sie eine "Befreiungsvorstellung" zur "Überwindung des Systems" erwarten. Angesprochen werden u.a. die Flüchtlings- und Asylthematik, Abschiebungen, die Entwicklung der Gentechnologie sowie die politische Entwicklung in Europa, wo "unter der politischen und ökonomischen Hegemonie der BRD und mit der BRD als rassistischem Frontstaat ein ganzer Kontinent zum Polizeistaat gemacht" werde.

Abschließend erklären sie sich mit den inhaftierten RAF-Mitgliedern solidarisch und kündigen an, alle Bemühungen zu unterstützen, die dazu führen, dass diese "aufrecht aus dem Knast rauskommen".

Die Erklärung endet mit der namentlichen Auflistung von insgesamt 26 ehemaligen Angehörigen der terroristischen Vereinigungen "RAF", "Bewegung 2. Juni" und "Revolutionäre Zellen" (RZ). Den Schlusspunkt bildet ein Zitat von Rosa Luxemburg: "Die Revolution sagt ich war ich bin ich werde sein".

Bewertung

Spätestens seit dieser Erklärung kann davon ausgegangen werden, dass sich die RAF tatsächlich aufgelöst hat und als terroristische Vereinigung nicht mehr existiert. Insofern geht eine konkrete Beeinträchtigung der Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland von ihr nicht mehr aus. Ob sich die in der Illegalität lebenden Mitglieder anderen Organisationen anschließen, bleibt abzuwarten. Ebenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass neue Vereinigungen entstehen, die - ähnlich wie die AIZ nach der Deeskalationserklärung der RAF 1992 - versuchen werden, in Übernahme des RAF-Konzeptes vom bewaffneten Kampf den Terrorismus fortzusetzen. Die im Besitz der RAF befindlichen Waffen, Sprengstoffe, Finanzmittel etc. dürften jedoch noch vorhanden und für Personen oder Gruppen des terroristischen Umfeldes oder des antiimperialistischen Widerstandes von Interesse sein. Eine ausführliche Bewertung der Auflösungserklärung der RAF und der Wortlaut ist über die Internet-Seite des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes verfügbar.

Reaktion der Szene

Die Reaktion auf die Auflösungserklärung der RAF blieb in der linksextremistischen Szene sowie bei Angehörigen des ehemaligen RAF-Umfeldes und des antiimperialistischen Widerstandes eher verhalten. Weitgehend übereinstimmend wurde diese Erklärung als längst überfälliger Schlussstrich bewertet, der eine Chance für neue Ansätze eröffne. Inhaltlich wurde die Erklärung vielfach als unzureichend für die als notwendig erachtete Aufarbeitung des bewaffneten Kampfes empfunden. U.a. wird an der Erklärung kritisiert, dass sie andere Ansätze von bewaffneten Kämpfen sowie militante Strömungen in den politischen Bewegungen wie z.B. der Anti-AKW-Bewegung nicht diskutiere.

Im Mai 1998 wurden im Kölner Infoladen "LC36" und im Bonner Szenebuchladen "Le Sabot" jeweils ein Plakat (Format DIN A2) mit der Überschrift "Zur Auflösungserklärung der Rote Armee Fraktion: Wir hatten oft mehr als nur klammheimliche Freude" ausgehängt. Darin wurde die Auflösungserklärung der RAF grundsätzlich begrüßt. Daneben wurde anerkannt, dass die RAF den Mut gehabt habe, "die Täter und ihre Projekte anzugreifen". Vielen sei damit "aus dem Herzen gesprochen" worden. Während man die "Hinrichtung" des amerikanischen Soldaten Pimental ablehnt, wurde die Ermordung von Schleyer durch die RAF eher positiv bewertet (... "konnten wir allerdings nur wenig trauern"). Der Text endet mit dem Hinweis, man werde festhalten "am Widerstand gegen ein System, das auf Unterdrückung und Ausbeutung basiert".

3.3.2.2 RAF-Häftlinge

In der Ausgabe Nr. 20 vom 13. Mai 1998 der linksextremistischen Schrift "Jungle World" und in der Ausgabe Nr. 207 vom 15. Mai 1998 der linksextremistischen Schrift "Angehörigen Info" wurde ein Brief des ehemaligen RAF-Mitglieds Rolf Klemens Wagner von Ende April 1998 veröffentlicht. Dieser setzt sich darin kritisch mit der Auflösungserklärung der RAF vom März 1998, die von "linkem Kitsch" durchzogen sei, auseinander. Wagner lässt die Darstellung der Illegalen nicht gelten, letztendlich hätten strategische und konzeptionelle Fehler das Scheitern des Kampfes der RAF verursacht. Er behauptet vielmehr: "Das Projekt war ausdrücklich politisch-militärisch, der bewaffnete Kampf war nur ein neues Element der Praxis, um gegen die Ideologielastigkeit und die Ohnmachtsgefühle zu realen Angriffen zu kommen."

Wagner kritisiert, die Verfasser wiederholten in ihrer Auflösungserklärung nur, "was sie seit Jahren runterbeten: Diese Reduktion und einseitige Betonung der bewaffneten Aktion habe ..." verhindert, "die Sache auf eine politische Ebene heben zu können". Weil das Soziale gefehlt habe, "habe auch die 'sozialrevolutionäre Komponente' gefehlt". "Dieser Eiertanz ums 'Soziale'" täusche nicht darüber hinweg, dass sie, ... "lang und breit ihre eigene Unfähigkeit bejammern, einen Weg, den sie angeblich als falsch erkannt haben, nicht mehr weiterzugehen, sondern etwas Neues zu suchen".

Wagner wirft den Illegalen vor, die RAF-Häftlinge seien "immer unvermittelt mit ihren Papers (gemeint sind offenbar die verschiedenen Erklärungen bzw. Positionspapiere der RAF) konfrontiert" worden. Die Kritik der RAF-Inhaftierten daran sei nie beachtet worden. Während die restlichen RAF-Häftlinge letztlich für die von ihnen initiierte Öffnung "bis zum Hals im Beton der 'Kinkel-Initiative' stecken", gehe es den Verfassern der Auflösungserklärung nur darum, "sich irgendwie aus der selbstgebastelten Sackgasse herauszuwinden".

Die Reaktion Wagners belegt, dass die Auflösungserklärung offenbar nicht mit den RAF-Häftlingen abgestimmt worden ist.

In ihrer Ausgabe vom 27./28. Juni 1998 (taz mag) veröffentlichte "die tageszeitung" (taz) ein Interview mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo. Dellwo bezeichnete 1977 als das Entscheidungsjahr der RAF, in dem alle gescheitert seien. Die damals von RAF-Häftlingen in der JVA Stuttgart-Stammheim begangenen Selbstmorde habe er nicht als Morde angesehen. Dem ehemaligen RAF-Mitglied Irmgard Möller sei in diesem Zusammenhang jetzt "der Widerspruch zu Aussagen, die offenkundig nicht richtig sind", zuzumuten. Gegen Dellwo bezog inzwischen der RAF-Häftling und "Hardliner" Rolf Heißler Stellung.

Am 19. Mai 1998 wurde das ehemalige Mitglied der RAF Helmut Pohl durch den Bundespräsidenten begnadigt. Die Freiheitsstrafe wurde mit Wirkung vom 1. Juni 1998 zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit ist auf fünf Jahre festgelegt.

Am 29. Juni 1998 wurde das ehemalige Mitglied der RAF Birgit Hogefeld vom Oberlandesgericht Frankfurt/Main ein weiteres Mal zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Richter sahen auch eine besondere Schwere der Schuld der Angeklagten als erwiesen an, was eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren nachhaltig erschwert.

Informations- und Vortragsveranstaltungen

Die bereits 1997 begonnenen Vortrags- und Informationsveranstaltungen mit ehemaligen Mitgliedern der RAF und "Bewegung 2. Juni" wurden 1998 fortgesetzt. So fand am 9. Februar 1998 in Bochum im "Kulturzentrum Bahnhof Langendreer" eine Lesungsveranstaltung mit der ehemaligen Angehörigen der RAF und der "Bewegung 2. Juni" Inge Viett statt. In der anschließenden Diskussion konnten die Zuhörer Fragen an Inge Viett richten, die in ihren Antworten eine anhaltend kritische Einstellung gegenüber dem Staat erkennen ließ, jedoch ihre persönliche Meinung offenbar wegen einer laufenden Bewährungsstrafe nicht dezidiert äußerte.

Am 12. Mai 1998 fand in Essen in der "Zeche Carl", einer Anlaufstelle auch des linksextremistischen Spektrums, die Veranstaltung "Schafft eins, zwei, drei ... viele Vietnams" mit dem ehemaligen Mitglied der RAF Lutz Taufer statt. Er erklärte zwar, dass er die Besetzung der Stockholmer Botschaft heute kritischer sehe und betonte, nicht mehr zum bewaffneten Kampf aufzurufen, distanzierte sich aber nicht grundsätzlich von den Anschlägen der RAF. Taufer hob vielmehr die Wichtigkeit des Positionspapiers "Konzept Stadtguerilla" der RAF von 1971 hervor. Zu Fragen zur Auflösungserklärung der RAF bezog er keine Stellung.

Am 18. Mai 1998 wurde wiederum im Bochumer "Kulturzentrum Bahnhof Langendreer" die Informations- und Diskussionsveranstaltung "High sein, frei sein, ein bißchen Terror muß dabei sein. Von den umherschweifenden Haschrebellen zur "Bewegung 2. Juni" mit den ehemaligen Mitgliedern der "Bewegung 2. Juni" Ralf Reinders und Ronald Fritzsch durchgeführt. Diese referierten u.a. über die Motive zur Gründung der "Bewegung 2.Juni", den Bruch zwischen der "Bewegung 2. Juni" und der RAF sowie die aus ihrer Sicht bestehenden Nachteile eines Lebens in der Illegalität. Eine Distanzierung von Aktionen der "Bewegung 2. Juni" oder vom bewaffneten Kampf erfolgte nicht. Die Referenten betonten zwar, dass im Unterschied zur RAF bei der "Bewegung 2. Juni" das Prinzip bestanden habe, keine Unbeteiligten zu gefährden, ließen aber keinen Zweifel daran, dass sich die "Bewegung 2. Juni" als bewaffneter Arm der Linken verstanden habe. Die Lorenz-Entführung wurde mit dem Hinweis gerechtfertigt, viele Menschen hätten sie verstanden und Lorenz habe nie geäußert, unmenschlich behandelt worden zu sein.
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